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Reichsbürger Reisepass
Im Visier: Reichsbürgerszene in NRW wächst
In Nordrhein-Westfalen gibt es 2.750 Personen mit Bezügen zur Reichsbürger-Szene. Im gesamten Bundesgebiet werden 18.000 Personen den Reichsbürgern zugerechnet.
IM NRW

In nur wenigen Monaten wurde die Zahl der Personen, die der „Reichsbürgerbewegung“ zugerechnet werden, bundesweit und auch in NRW mehrfach nach oben korrigiert. Zählte der Verfassungsschutz NRW 2016 noch 300 sogenannte Reichsbürger in NRW, waren es im Januar 2018 bereits 2.200. Heute, ein halbes Jahr später, liegt die Zahl bei 2.750. Dieser schnelle Anstieg ist einerseits auf die Aufhellung der Reichsbürger-Szene durch die Sicherheitsbehörden sowie die Sensibilisierung der Öffentlichkeit und aller Behörden und damit verbunden einem kontinuierlichen Meldeaufkommen zurückzuführen. Andererseits verbreiten Reichsbürger ihre Propaganda und Angebote im Internet, was zu einem großen Dunkelfeld sowie einem weiteren Zulauf zur Reichsbürgerbewegung führt. Die Größe des Dunkelfeldes ist besorgniserregend, angesichts der hohen Affinität für Waffen in der Szene und der Nicht-Anerkennung der Bundesrepublik Deutschland als Staat. 

Im Oktober 2016 wurde ein Polizeibeamter in Bayern von einem Reichsbürger tödlich verletzt. Seit diesem schrecklichen Vorfall besteht ein erhöhtes öffentliches Interesse an der Reichsbürger-Szene. Beinahe zehn Prozent der den Behörden bekannten Reichsbürger verfügen über eine waffenrechtliche Erlaubnis. Ihre verfassungsfeindliche Haltung und ihre Aktionen sind ein Hinweis darauf, dass sie waffenrechtlich unzuverlässig sind. Bei jedem bekannt gewordenen Reichsbürger prüft die Waffenbehörde deshalb eine Entziehung dieser Erlaubnis.

Zum Stichtag 28. Februar 2018 verfügten 115 Personen, die· der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene zuzurechnen sind, über waffenrechtliche Erlaubnisse. Gegen 59 dieser 115 Personen waren Widerrufsverfahren gemäß Waffengesetz eingeleitet worden, die noch nicht bestandskräftig abgeschlossen sind. Seit Beginn der Überprüfung von waffenrechtlichen Erlaubnissen und deren Widerruf bei Personen, die der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene zuzurechnen sind, wurden bis zum Stichtag darüber hinaus bei 47 weiteren Personen bestandskräftig waffenrechtliche Erlaubnisse widerrufen. Die Anzahl der waffenrechtlichen Erlaubnisse übersteigt die Anzahl der Personen, da einzelne Personen mehrere Bedürfnisgründe wie beispielsweise Jäger und Sportschütze anmelden und somit mehrere waffenrechtliche Erlaubnisse innehaben.

 

Straftaten der Reichsbürgerszene in NRW 

Seit dem 01.01.2015 sind 2.907 Straftaten von Personen, welche der Reichsbürgerszene zugerechnet werden, erfasst worden. 335 Delikte sind als politisch motiviert gemeldet. worden. In 322 Fäflen von den 2.907 insgesamt erfassten Straftaten handelt es sich um Gewaltdelikte, von denen 28 als Politisch motivierte Kriminalität (PMK) gemeldet worden sind.

 

Ideologie der „Reichsbürgerbewegung“ in NRW

Der Ideologie der „Reichsbürgerbewegung“ zufolge besteht das Deutsche Reich in seinen Grenzen der 1930er Jahr fort. Die Bundesrepublik Deutschland sei kein souveräner Staat, sondern wird häufig als GmbH bezeichnet. Somit erkennen die Reichsbürger weder das geltende Recht noch das staatliche Gewaltmonopol an. Das führt dazu, dass sie fiktive Regierungen bilden und immer wieder Widerstandshandlungen gegen Beamtinnen und Beamte begehen. Auch wenn Menschen aus unterschiedlicher Motivation (bspw. das Nicht-Zahlen von Steuern und Bußgeldern) von der „Reichsbürgerbewegung“ angezogen werden, ist der Kern der Reichsbürgerideologie mit dem Bezug auf das Deutsche Reich in den Grenzen der 1930er Jahre eindeutig rechtsextremistisch.

Das Internet hat eine herausragende Rolle für der Verbreitung der Reichsbürger-Behauptungen sowie für die Motivation der Sympathisanten. Dort finden sich zahlreiche Webseiten und Social-Media-Profile (beispielsweise auf Facebook) von Gruppen oder Einzelpersonen der Reichsbürger-Szene. Sie bieten unter anderem Musterformulare für die Auseinandersetzung mit öffentlichen Stellen an. Einige Personen nutzen Musterformulare und Handlungsempfehlungen von Reichsbürgern, um staatlichen Zahlungsforderungen zu entgehen, ohne dass sie sich in Gruppen der Reichsbürger organisieren. Die vermeintlichen Argumente der Reichsbürger werden zudem im Internet verbreitet. In Online-Kommentaren und -Diskussionen erscheinen immer wieder Beiträge mit dem Hinweis, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht existiere beziehungsweise keine rechtliche Legitimation habe.

 

Gruppierungen und Organisationen der „Reichsbürgerbewegung“ in NRW

Bei der Reichsbürgerbewegung handelt es um ein flächendeckendes Phänomen. Strukturell zeigt sich, dass dieses jedoch grundsätzlich stärker in den ländlichen Regionen verbreitet ist. Schwerpunkte in Nordrhein-Westfalen bilden der Raum Ostwestfalen, Lippe, Soest, der Hochsauerlandkreis sowie der Großraum Köln.

Aufgrund der heterogenen Strukturen, einer mitunter divergierenden Ausrichtung sowie einer grundsätzlich hohen Fluktuationsrate des personellen Umfeldes kommt es nur in wenigen Fällen zu einer relevanten stabilen Organisationsstruktur. Gleichwohl findet durch die offensive Nutzung des Internets eine fortwährende Wechselwirkung mit Radikalisierungstendenzen statt. Neben den bekannten bundesweit oder zumindest mit einem solchen Anspruch agierenden Reichsbürgergruppierungen wie den Kommissarischen Reichsregierungen und ihren Derivaten haben sich in NRW folgende Gruppen etabliert:

Verein AGAPE e. V. (Gelsenkirchen)

Es handelt sich um einen beim Amtsgericht Gelsenkirchen eingetragenen Verein mit ca. 20 Mitgliedern, der scheinbar über einen "freiheitlich-religiösen" Charakter verfügt. Nach ersten Erkenntnissen ist ein großer Teil des Vorstands und der Mitglieder jedoch der Reichsbürgerszene zuzurechnen. Inzwischen sind polizeiliche Ermittlungen wegen diverser Betrugsdelikte aufgenommen worden. Erste Hinweise legen die Vermutung nahe, dass der Verein primär in krimineller Absicht gegründet wurde.

Verein Bio-energetisches Leben e. V. (Duisburg)

Der beim Amtsgericht Duisburg eingetragene Verein mit ca. 25 Mitgliedern widmet sich vordergründig der Unterstützung seiner Mitglieder im Rahmen einer allgemeinen Lebenshilfe. Tatsächlich wurde nach bisherigen polizeilichen Erkenntnissen auch dieses Organisationskonstrukt genutzt, um durch Überweisungsbetrug Gelder zu erschleichen; auch hier ist ein entsprechendes Ermittlungsverfahren anhängig.

Bezüge zur Reichsbürgerszene ergeben sich im Wesentlichen durch die Forderung gegenüber der Gemeinde Hünxe auf Zahlung einer "Leibrente" in sechsstelliger Höhe für diverse Vereinsmitglieder. Hierbei lassen sich Parallelen zur sogenannten „Malta-Masche“ erkennen. Weiterhin wurden so genannte Landgemeinden gegründet, die szeneintern als Form der Vernetzung gelten.

Justiz-Opfer-Hilfe – WAG-Justiz-Opfer-Hilfe NRW; "JOH" – (Löhne)

Die Justiz-Opfer-Hilfe – auch bekannt als "Weltanschauungsgemeinschaft" (WAG) sowie "Menschenrechtsorganisation" – hat ihren Sitz nach eigener Darstellung in Rinteln / Niedersachsen, ist jedoch tatsächlich in Löhne ansässig. Dort finden sich auch die „Freikirche WAG-Aktive Christen in Deutschland" und ein „Menschenrechtsgerichtshof“. Es handelt sich jeweils um Substrukturen der JOH.

Die JOH und ihre Derivate sind bundesweit bekannte und agierende Reichsbürgerorganisationen; die Bundesrepublik Deutschland und ihre Institutionen werden als staatliche Autoritäten nicht anerkannt. Mitglieder der JOH, die Adressat staatlicher Maßnahmen werden, erhalten gegen Gebühr rechtliche und organisatorische Hilfe.

Das Ziel besteht in einer Einstellung oder zumindest der Lähmung von verwaltungsrechtlichen Verfahrensabläufen. Es besteht eine hohe Mitgliederfluktuation von bis zu 60 Personen.

Indigenes Volk Germaniten / Ringvorsorge Volksgruppe Germaniten (Bochum)

Die Gruppierung ging aus einem kurzzeitigen Zusammenschluss der "Ringvorsorge" mit der JOH im Jahr 2010 hervor. Sie beansprucht – wie die JOH – für sich die Vertretung eines genannten Volkes der Germaniten; die Zentrale ist in Bochum ("Stadtmission"). Die Gruppe ist insbesondere durch den Versand umfangreichen Materials an Behörden per Fax im typischen Reichsbürgerduktus in Erscheinung getreten; es handelt sich hierbei um eine eher virtuelle Erscheinungsform mit nur wenigen Aktivisten.

Verfassungsgebende Versammlung (VV) - Bundesstaat Deutschland

Die Gruppierung "Verfassungsgebende Versammlung" (VV) missbraucht einen Namen, der begrifflich in einem ganz anderen historischen Kontext steht. Sie ist durch mehrere Schreiben und E-Mails des fiktiven "Bundesstaats Deutschland" bekannt geworden. In diesen werden reichsbürgertypische Inhalte verbreitet. Die VV betrachtet sich als einzig legitimer Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches nach Ausrufung eines Bundestaates Deutschland und Verabschiedung einer eigenen Verfassung. Die VV ist bundesweit vernetzt.

Die Substrukturen untergliedern sich in "Stammtische", unter anderem in Nordrhein-Westfalen. Der Unterstützerkreis in NRW liegt bei ca. 70 Personen.

Deutsche Reichsdruckerei / Präsidium des deutschen Reiches (Kaarst)

Die Kleinstgruppe in Kaarst firmiert unter anderem auch unter den Bezeichnungen Bundes- und Reichspräsidium, Beweissicherungsamt des Deutschen Reiches, Reichsjustizamt und Volks-Reichstag. Auf den diversen Webseiten finden sich zahlreiche Texte mit einschlägigen Inhalten wie beispielsweise ein "Amtsblatt".

Im Fokus der Aktivitäten stehen die Herstellung sowie der Vertrieb von "Ausweisdokumenten". Es handelt sich um diverse Fantasiedokumente – unter anderem einen Reichs-Personenausweis, einen Reichs-Dienstausweis oder eine Reichs-Fahrerlaubnis –, die im Internet zum Kauf angeboten werden. Schwerpunkt ist hierbei ein wirtschaftliches Interesse.

Freistaat Preußen

Der so genannte Freistaat Preußen betrachtet sich ebenfalls als legitimer Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches. Die Gruppierung bestreitet die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland und deren völkerrechtliche Existenz. 

Korrespondierend dazu wurde ein Fantasiestaat zur „Reorganisation des Freistaates Preußen“ gegründet. Dieser vergibt Ämter und verwendet eigene Ausweise und Dokumente. Der "Freistaat Preußen" gliedert sich in die „administrative Regierung" mit Sitz in Bonn und die bundesweit nachgeordneten Provinzen mit ihren jeweiligen Vertretern. Zu diesen Provinzen zählen die Provinz Westfalen und die Rheinprovinz. 

Auf der Homepage des „Freistaates Preußen“ werden regelmäßig Veranstaltungen unter dem Titel „Preußenrunde“ und der jeweiligen Provinz angekündigt. Diese besitzen Stammtischcharakter.

Die Gruppierung ist von diversen Abspaltungen geprägt, die ebenfalls unter der Bezeichnung "Freistaat Preußen" auftreten. Funktionäre einer dieser Abspaltungen erregten mit dem Versuch eines Waffenankaufs zwecks Aufbaus einer eigenen Polizeitruppe bundesweites Aufsehen.

Insgesamt ist der "Freistaat Preußen" beispielhaft für die Unbeständigkeit und die hohe Fluktuation innerhalb der Szene.

  Reichsbürger und Selbstverwalter - erkennen, einordnen, richtig handeln

In Nordrhein-Westfalen gibt es eine zunehmende Anzahl von Vorkommnissen mit sogenannten Reichsbürgern. Deshalb gehen die Behörden konsequent gegen sie vor.

Reichsbürger und Selbstverwalter beschäftigen Behörden, insbesondere Kommunalverwaltungen, intensiv mit ihren Aktivitäten. Sie konfrontieren die Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter mit absurden Anträgen und behindern durch renitentes Verhalten eine zügige Abwicklung von Vorgängen. Sie verfolgen damit letztlich das Ziel, staatliche Stellen vom rechtlich gebotenen Handeln abzulenken und eigene Zahlungsverpflichtungen wie Steuern oder Gebühren zu verweigern, beziehungsweise Zwangsvollstreckungen zu verhindern. Oft versuchen sie sogar, Vollzugsbeamte oder Beschäftigte in Bürgerbüros einzuschüchtern oder zu bedrohen.

Tipps zum richtigen Umgang mit Reichsbürgern finden Sie hier.

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